Zur Beurteilung des Vorliegens eines ärztlichen Behandlungsfehlers hat das Gericht einen Sachverständigen oder eine Sachverständige aus dem medizinischen Fachgebiet der Beklagten auszuwählen. Mit Blick auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers einer Hebamme ist die Geburtshilfe das zu beurteilende medizinische Fachgebiet. Die Begutachtung hat unter Zugrundelegung des fachlichen Standards einer Hebamme zu erfolgen. Danach ist eine fachärztliche Geburtsüberwachung spätestens dann geboten, wenn sich eine Phase durchgängig pathologischer fetaler Herzfrequenz mit negativen Zusatzkriterien an eine Phase der Erholung der kindlichen Herzfrequenz anschließt. Es reicht dann nicht aus, lediglich eine weitere Hebamme hinzuzuziehen.
Einer Pädiaterin unterläuft ein Behandlungsfehler, wenn sie die in Lebensminute 19 gemessenen Ergebnisse der Blutgasanalyse (BGA IV) nicht zur Kenntnis nimmt und deshalb verkennt, dass der pCO²-Wert zu diesem Zeitpunkt 146,8 mmHG betrug. Bei der Nichtkenntnisnahme der Ergebnisse der BGA IV handelt es sich um eine verzögerte, nicht rechtzeitige Befunderhebung, die einer unterlassenen Befunderhebung gleichsteht. Wird eine gebotene Befunderhebung zwar angeordnet und in die Wege geleitet, deren reaktionspflichtiges Ergebnis aber erst verspätet ausgewertet und damit für die Behandlung verspätet umgesetzt, so liegt eine der „unterlassenen Befunderhebung“ vergleichbare und gleich zu behandelnde Fallgruppe vor.
Kommt ein Kind mit Sauerstoffmangel auf die Welt und erleidet es aufgrund unzureichender Beatmung schwerste Hirnschäden, sodass es sein Leben lang, ohne Hoffnung auf Besserung, auf fremde Hilfe angewiesen ist, erscheint die Ansetzung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 800.000 € nicht überhöht.
Hanseatisches Oberlandesgericht, Urteil vom 05.09.2024 – 1 U 95/23