Haftung nach Schlaganfall eines Kindes infolge verspäteter MRT-Untersuchung

Der Kläger erlitt im Alter von 5 Jahren einen Schlaganfall. Die Behandler gingen anfangs von einem epileptischen Anfall aus. Ein Wach-EEG, das kurz nach Aufnahme im Hause der Beklagten gegen 12:27 Uhr gefertigt wurde, zeigte indessen keine epilepsietypischen Potentiale. Gleichwohl wurde erst um 20:14 eine MRT veranlasst, welche die Verdachtsdiagnose eines Mediainfarktes ergab. Als Dauerschäden sind bei dem jungen Kläger eine halbseitige Lähmung, ein Spasmus und eine Dystonie verblieben.

Das Landgericht hat ein neuropädiatrisches Gutachten eingeholt. Zwar bezeichnete der gerichtliche Sachverständige die kinderärztliche Diagnose einer Epilepsie für vertretbar, weil ein Schlaganfall bei Kindern im Alter des Klägers eine absolute Rarität sei. Er hat allerdings einen groben Befunderhebungsfehler darin gesehen, dass man auf das Ergebnis des Wach-EEG nicht sofort eine MRT veranlasst habe. Dies sei neurologischer Facharztstandard. Er gehe davon aus, dass das EEG von Neurologen befundet worden sei. Der EEG-Befund spreche für eine lokale Funktionsstörung im Hirn, die drei Ursachen hätte haben können, nämlich einen Tumor, einen Hirninfarkt oder einen epileptischen Anfall. Da keine Hinweise auf epilepsietypischen Potenziale vorgelegen hätten, sei ein epileptischer Anfall eher unwahrscheinlich gewesen; mit Blick auf die Differenzialdiagnose Tumor oder Hirninfarkt hätte man bei diesem Befund sofort eine MRT anordnen müssen.

Anders als das Landgericht, hat das OLG Oldenburg aufgrund der Annahme einer Beweislastumkehr die Einstandspflicht der Beklagten für die Schädigung des Klägers infolge der verspäteten MRT-Untersuchung festgestellt.

Das Landgericht hatte den Primärschaden des Kindes darin gesehen, dass der Schlaganfall über mehrere Stunden bis zur MRT-Untersuchung unbehandelt geblieben ist. Die körperlichen Einschränkungen, die der Kläger als Folge des Schlaganfalls erlitten hat, hat das Landgericht als Folgeschäden eingeordnet, für deren Ursächlichkeit keine Beweislastumkehr eingreift, sondern der Beweismaßstab des § 287 ZPO (Vollbeweis). Danach blieb der Kläger beweisfällig. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen.

Der Senat am OLG Oldenburg teilte diese Bewertung nicht.

Grundsätzlich erfasst die Beweislastumkehr des § 630 h Abs. 5 BGB beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers den sogenannten Primärschaden sowie typische Sekundärschäden.

Primärschaden, auf den sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist nach ständiger Rechtsprechung die durch den Behandlungsfehler herbeigeführte gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung. Es ist darauf abzustellen, ob die unterbliebene Behandlung eines krankhaften Zustandes zu einer weiteren Schädigung des Patienten geführt hat.

Der haftungsrechtliche Primärschaden besteht im vorliegenden Fall nicht nur in der Fortdauer des krankhaften Zustands (hier: Gefäßenge infolge einer Vaskulitis), sondern umfasst auch die zeitlich folgende nächste organische Schädigung (hier: Untergang unterversorgter Nervenzellen als Folge der Gefäßenge), so dass sich die Beweislastumkehr auch auf diesen Schaden erstreckt.

Der nach § 630 h Abs. 5 BGB der Behandlerseite obliegende Beweis mangelnder Ursächlichkeit ist erst dann geführt, wenn sich die Kausalität als allenfalls theoretischer Zusammenhang darstellt und nicht im Sinne einer realen Möglichkeit greifbar ist.

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 07.02.2024 – 5 U 33/23