Leitsatz:
Im Arzthaftungsprozess wird die erweiterte - sekundäre - Darlegungslast der Behandlungsseite ausgelöst, wenn die primäre Darlegung des Konfliktstoffs durch den Patienten den insoweit geltenden maßvollen Anforderungen genügt und die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für ihn gestattet, während es dieser möglich und zumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären. Letzteres wird bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes regelmäßig der Fall sein.
Für das Auslösen der sekundären Darlegungslast ist nicht Voraussetzung, dass der Patient konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorträgt (Fortführung Senat, Beschluss vom 25. Juni 2019 - VI ZR 12/17, NJW-RR 2019, 1360).
Aus den Gründen:
An die Substantiierungspflichten des Patienten im Arzthaftungsprozess sind nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Von ihm kann keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet werden. Ihm fehlt die genaue Einsicht in das Behandlungsgeschehen und das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Konfliktstoffs; er ist nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Die Patientenseite darf sich deshalb auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet. Insbesondere ist der Patient nicht verpflichtet, mögliche Entstehungsursachen einer Infektion zu ermitteln und vorzutragen.
Mit der eingeschränkten primären Darlegungslast des Patienten geht zur Gewährleistung prozessualer Waffengleichheit zwischen den Parteien regelmäßig eine gesteigerte Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 139 ZPO) bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 144 Abs. 1 S. 1 ZPO) von Amts wegen einher, soweit der Patient darauf angewiesen ist, dass der Sachverhalt durch ein solches aufbereitet.
Auch die Berücksichtigung eines einfachen Behandlungsfehlers im Rahmen einer Gesamtbetrachtung und -bewertung setzt voraus, dass zu Art, Umständen und (möglichen) Auswirkungen Feststellungen getroffen sind.
Einschränkungen der Darlegungslast des Patienten können sich nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ferner insoweit ergeben, als der Patient außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihm eine nähere Substantiierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall hat die Behandlungsseite nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast auf die Behauptungen des Patienten substantiiert zu erwidern, wenn ihr Bestreiten nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO beachtlich sein soll. Die Anforderungen an die Darlegungslast der Behandlungsseite bestimmen sich dabei weitgehend nach den Umständen des Einzelfalls. Sie richten sich nach der Art des im Raum stehenden Vorwurfs und stehen im Wechselspiel zu der Tiefe des primären Vortrags des Patienten. Beweiserleichterungen resultieren aus der sekundären Darlegungslast allerdings nicht.