Arzthaftungsprozess: Sachverständigenanhörung bei Lehrbuch-Abweichung

Wird einem Sachverständigengutachten mit Verweis auf ein Lehrbuch widersprochen, muss das Gericht die Gutachterin bzw. den Gutachter zu der Abweichung befragen. Erfolgt keine solche Anhörung, und wird der Lehrbuch-Verweis übergangen, liegt darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Im entschiedenen Fall verstarb ein Säugling nach der Geburt. Die Mutter hatte nach einem Blasensprung das Krankenhaus aufgesucht, wo geburtseinleitende Maßnahmen und schließlich ein Kaiserschnitt durchgeführt wurden. Im sich anschließenden Haftungsverfahren wurde geltend gemacht, dass diese Maßnahmen zu spät erfolgt seien. Der gerichtlich bestellte medizinische Sachverständige stellte jedoch keinen ärztlichen Behandlungsfehler fest und konstatierte, das durchgeführte „abwartende Geburtsmanagement“ sei nicht zu beanstanden.

Die Klage der Eltern wurde in 1. und 2. Instanz zunächst abgewiesen. Der Vorlage eines Auszugs aus dem Lehrbuch „Die Geburtshilfe“, wonach bei Anzeichen eines Amnioninfektionssyndroms nach vorzeitigem Blasensprung kein „abwartendes Geburtsmanagement“ durchgeführt werden darf, fand dort keine Beachtung. Dies hat der BGH in seinem Urteil bemängelt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.07.2024 – VI ZR 240/23