Verstirbt eine 70-jährige Patientin an einer zu spät erkannten Krebserkrankung kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € angemessen sein.
Eine Patientin war wegen undefinierbarer Schmerzen im bereits geschwollenen Oberschenkel an einen Orthopäden überwiesen worden. Dieser diagnostizierte ein Hämatom und verordnete Schmerzmittel. Erst einige Wochen später veranlasste er eine MRT-Untersuchung. Jetzt wurde ein Tumor diagnostiziert und reseziert. Nach weiteren zwei Monaten fand sich eine Metastase. Eineinhalb Jahre später verstarb die Patientin nach schweren Leiden.
Wesentlich für die Bemessung des Schmerzensgeldes war der Leidensweg der Patientin bis zu ihrem Tod, ihr Alter und ihre familiäre Situation.
Das OLG führte aus, dass bei einer 70 Jahre alten Person die erlittene Beeinträchtigung durch die Lebensverkürzung geringer sei als bei einem jungen Menschen, da man in diesem Alter die zentralen erfüllenden Momente des Lebens wie etwa Jugend, Liebe, Hochzeit, Mutterschaft und beruflichen Erfolg noch erleben konnte. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, der Grad des Verschuldens des Schädigers und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien seien bei der Bemessung des Schmerzensgeldes von untergeordneter Bedeutung.
Das OLG kam zu dem Urteil, der Behandler habe die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen. Bei einer um einen Monat früheren Diagnose wäre die statistische Prognose der Patientin um 10-20 % besser gewesen. Vor diesem Hintergrund sei der haftungsbegründende Ursachenzusammenhang nicht äußerst unwahrscheinlich. Von einem äußerst unwahrscheinlichen Ereignis könne erst ab einer Quote von etwa 5 % und darunter gesprochen werden.
OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 22.12.2020 – 8 U 142/18
Nichtzulassungsbeschwerde ist beim BGH anhängig (Az. VI ZR 39/21)